Sehnsucht nach der Hölle
Sehnsucht nach der Hölle
Sehnsucht nach der Hölle
Ein Vortrag über Joseph goebbels‘ frühe dichtung
10. Mai 2003
Achtung, der Dichter spricht:
„Die Sonne lacht in voller Pracht/
In mein Kämmerlein mitten hinein./
Ich greife Stock und Hut,
nehm meinen tollen Hut,
Und stürme hinaus aus dem Haus.“
Ja doch, genau so geht‘s weiter in Joseph Goebbels‘ frühem unveröffentlichten Gedicht „Morgen im Mai“. Schwülstig, schematisch, wenig originell. Zudem verlogen, wie Germanist Dr. Ralf Georg Czapla in Braunschweigs Raabe-Haus in einem überaus spannenden Vortrag über Goebbels‘ literarische Versuche darlegte. Denn Joseph Goebbels, geboren 1897 in Rheydt, aufgewachsen im kleinbürgerlichen katholischen Milieu, auffällig guter Schüler und mittlerweile Student der Germanistik und Philosophie, war niemals das sonnige Gemüt, dem die biedermeierliche Pose in den dutzendweise seiner große Liebe Anka Stalherm gewidmeten Schönwetter-Gedichten gut zu Gesicht gestanden hätte.
Sondern ein gebrochener, verletzter Mensch. Leidend unter seinem verkrüppelten Fuß, mit dem er ja auch den Makel der Nicht-Kriegsteilnahme herumzuschleppen hatte, leidend unter Misserfolgen, leidend überhaupt als Habenichts, der zugleich so hochmütig war, leidend nicht zuletzt unter einer Glaubenskrise, die man sich Czapla zufolge durchaus tief und schmerzhaft vorstellen muss.
Ein bis heute unbeachtet gebliebenes Zeugnis dieser Glaubenskrise ist Goebbels‘ „Nachtgebet“, wenn man so will ein ehrlicher Ausreißer des jungen Dichters, eine Gottesanklage voller Selbstekel:
„Ich lache Deiner Gnadenhuld/
Spar die für Deine Frommen/
Und laß mich, lächerlicher Gott,
In Deine Hölle kommen.
Denn ich will trotzen ohne End‘/
Dem Himmel und der Erden/
Und fluchen Dir in Ewigkeit/
Dass Du mich ließest werden.“
Wie dringlich die Erlösung durch eine „unbekannte Gottheit“ ersehnt wird, zeigt die erhaltene Szene einer längeren Prometheus-Dichtung aus Goebbels‘ Feder. Die abgöttische Hingabe, die Goebbels nicht viel später, ab 1923, für Adolf Hitler zu fühlen begann, lässt sich vor diesem Hintergrund klar erkennen. Der Nationalsozialismus war für Goebbels nicht weniger als eine neue Religion. Eine, für die er sich entschieden hatte. Auf Gedeih - seine Karriere gedieh wie wenige andere. Und auf Verderb: Am 1. Mai 1945 ermordete er seine sechs Kinder und beging zusammen mit seiner Frau Selbstmord.
Klar strukturiert legte der 1964 geborene Czapla Goebbels‘ frühe Dichtung aus. Erwähnte des Ministers literarische Vorlieben, zu denen Klassiker, aber auch Dostojewskij und Wilhelm Raabe gehörten. Und natürlich ein Poem wie dieses: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los. Wer legt noch die Hände feig in den Schoß?“ Von Theodor Körner ist das, „Männer und Buben“, geschrieben 1813. Es wurde zu einem Höhepunkt jener Rede, mit der Goebbels im Februar 1943 die Deutschen auf den „totalen Krieg“ einschwor. Und das ist ganz bestimmt der schrecklichste, folgenschwerste Fall anverwandelter Dichtung überhaupt.
Text: Harald Likus
Quelle: Braunschweiger Zeitung vom 10. Mai 2003
Germanisten-Runde im Raabe-Haus Braunschweig im Mai 2003