Späte Rehabilitation für HEinrich lersch
Späte Rehabilitation für HEinrich lersch
Späte Rehabilitation für Heinrich Lersch
17. Februar 2007
Bad Bodendorf. Der Heidelberger Germanist Ralf Georg Czapla hat den Arbeiterdichter Heinrich Lersch (1889-1936) jetzt vom Vorwurf der NS-Gefolgschaft freigesprochen. Lersch, der die letzten Jahre seines Lebens in Bodendorf verbrachte, galt bislang als Gefolgsmann der Nationalsozialisten, weil er zu Beginn der 1930er-Jahre Parteiorganisationen beigetreten war und weil er einige seiner früheren Gedichte im Sinne der NS-Ideologie umgeschrieben hatte. Ein Beispiel: Als im Jahr 1914 der Erste Weltkrieg begann, meldete sich Lersch freiwillig als Soldat. In der Nacht vor dem Mobilmachungstag feierten die Rekruten und ihre Familien in der St. Josef-Kirche im Gladbacher Stadtteil Hermges eine Messe, die auch Heinrich Lersch und seine Mutter besuchten. Dort schrieb der junge Dichter den „Soldatenabschied“, das Gedicht, das ihn in Deutschland mit einem Schlag bekannt und berühmt machte. Weil er sonst kein Papier bei sich hatte, notierte Lersch die Verse auf die leeren Seiten des Gebetbuchs seiner Mutter. Das Gedicht beginnt mit der Zeile „Laß mich gehen, Mutter, laß mich gehen...“ Und die fünf Strophen enden jeweils mit dem Satz „Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen!“. Nach zwei Weltkriegen mit Millionen von Opfern klingt dieses Pathos heute hohl und chauvinistisch; damals jedoch traf es die Stimmung der gesamten Bevölkerung. Und in den 1920er und 1930er Jahren sollten diese Zeilen in unzählige Kriegerdenkmale gemeißelt werden. „Wir sind die Soldaten der neuen Armee, die hämmernden Brüder der Welt“, schrieb Lersch in einem hoffnungsfrohen Gedicht über die Aufbruchstimmung nach dem Ersten Weltkrieg, das er später umformulierte: „Wir sind die Soldaten der braunen Armee, die Kolonnen der eisernen Zeit....“ Und vor den Gedichtband „Mit brüderlicher Stimme“, für den Lersch im Jahr 1935 in Düsseldorf „Rheinischen Literaturpreis“ ausgezeichnet worden war, schrieb er die Widmung: „Im Sinne des Führers: Der Gefolgschaft!“ Eine Basalt-Stele oberhalb einer Quelle in einem kleinen Wäldchen in der Nähe des Bodendorfer Schützenplatzes erinnert heute noch an Lersch. An dieser Stelle hatte Lersch sich im Mai 1934 eine Dichterklause gebaut, „Das schönste Gartenhäuschen, das je ein Dichter besessen hat“, wie Lersch damals in einem Brief schrieb, „nur das liebe Vieh kommt hierher“, heißt es darin weiter, „Rehbock und Fasan, Hase und Häher“ und „Rheintal und Westerwald liegen im blauen Dunst. Sinzig leuchtet von Ferne.“
Das Denkmal trägt allerdings einen Makel: Es wurde 1939 von der Hitlerjugend (HJ) aufgestellt. Dennoch will der Heimat- und Bürgerverein von Bad Bodendorf bei der Stadt Sinzig, der Eigentümerin von Grundstück und Stele, dafür werben, dass der Gedenkstein und sein Umfeld, auf dem einst Lerschs hölzerne Dichterklause stand, saniert und ansprechend hergerichtet werden. Die Sanierungspläne sind im Badeort und in Sinzig jedoch nicht unumstritten. Kritiker des Projekts wollen Lersch und seine Jahre in Bodendorf lieber ganz aus der Erinnerung löschen, weil sie befürchten, dass der Gedenkstein zur Pilgerstätte für Neonazis wird. Dabei geht es dem Verein gar nicht um eine Verherrlichung des Arbeiterdichters, sondern darum, ein bedeutendes Stück Bad Bodendorfer Geschichte und ein Mahnmal zu erhalten, das an die Verführbarkeit des Menschen erinnert. Heinrich Lersch, Sohn eines Mönchengladbacher Kesselschmieds war 1932 - zusammen mit Ehefrau Erika und den drei Kindern Gerhard, Edgar und Leni - nach Bodendorf gezogen: Er wollte in der Nähe seines Freundes Matthias Leisen sein, der als Magnetopath in der Burg Bodendorf praktizierte. Von ihm erhoffte sich Lersch Linderung oder gar Heilung seiner Asthma- und Magenbeschwerden, die er sich bei der Arbeit in der Kesselschmiede zugezogen und die sich infolge einer Verschüttung im Krieg verschlimmert hatten. Leisen benutzte für seine Untersuchungen und um homöopathische Medikamente auszuwählen Wünschelruten aus verschiedenen Hölzern und anderen Materialien. Rasch lernt „Hein“, wie er von seinen Freunden genannt wird, in Bodendorf tanzen und Weintrinken, der Städter begeistert sich dort für die Kirmes, für Karneval und Schützenfest. Bei Hochzeiten, Ehejubiläen und Namenstagen trägt er Festgedichte vor. Mit einer Büttenrede „Der Nachtwächter von Bodendorf“ verblüfft er sein Publikum mit Kenntnissen über Stärken und Schwächen einzelner Dorfbewohner. Anfang Juni 1936 fährt Heinrich Lersch mit dem Fahrrad von Bodendorf in Richtung Heppingen; dabei kommt ihm ein Auto auf der falschen Straßenseite entgegen. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, steuert Lersch in den Straßengraben. Dabei fällt er aber mit der Brust unglücklich auf den Lenker und verletzt sich schwer. Sein Körper, durch die lange und schwere Lungenkrankheit ausgezehrt, hat keine Widerstandskraft mehr: Als er in den Tagen darauf an einen Lungen- und Rippenfellentzündung erkrankt, wird er ins Remagener Krankenhaus eingeliefert. Dort stirbt er, 46 Jahre alt, am 18. Juni 1936. NS-Funktionäre bis hinauf zum Koblenzer Gauleiter Gustav Simon nehmen Lerschs Tod zum Anlaß für eine Inszenierung: Der Dichter hatte einmal den Wunsch geäußert, nach seinem Tod in Gladbach beerdigt zu werden; bevor man den Leichnam dorthin überführt, wird er aber auf der Kemminghöhe nördlich der Remagener Rheinpromenade aufgebahrt. Aufmärsche, gedämpfte Musik, gesenkte Fahnen und große Reden gibt es dort. Danach wird der Leichnam nach Gladbach überführt. In der Kesselschmiede bahrt man den Verstorbenen auf: ehemalige Arbeitskameraden halten Totenwache. Auf dem Ehrenfeld des Mönchengladbacher Stadtfriedhofs wird Lersch schließlich beigesetzt. 120.000 Trauergäste sollen der Beerdigung beigewohnt haben. Aber es gibt NSDAP-Mitglieder, die sich weigern an diesem Begräbnis teilzunehmen: Sie hätten den Dichter „einst hinter einer roten Fahne gesehen“, behaupten sie. In der offiziellen Berichterstattung verschweigen die Nazis auch, dass Lersch mit den Sterbesakramenten beigesetzt wurde und dass sein Totenzettel „zur christlichen Erneuerung“ aufruft. Und auf eine Ausstellung, die Lersch Jahre später, bei einem Dichtertreffen am 24. und 25. Juni 1939 in Bad Neuenahr, gewidmet wird, lassen die Nazis ein Foto entfernen, das den verstorbenen Dichter mit einem Kruzifix in den gefalteten Händen zeigt. Czaplas Lersch-Studie beruht auf einer intensiven Sichtung der Lersch-Nachlässe im Stadtarchiv Mönchengladbach sowie im Fritz-Hüser-Institut Dortmund. Der - wie Lersch - vom Niederrhein stammende Literaturwissenschaftler stellt den Arbeiterdichter nicht nur als überzeugten Katholiken vor, der sich von seiner anfänglichen Kriegsbegeisterung 1914 rasch distanzierte und zum Pazifisten wandelte, sondern auch als kritischen Beobachter seiner Zeit. In den Protokollen des Mönchengladbacher Stadtrats entdeckte Czapla ein Schlüsseldokument: Als der Rat am 9. Oktober 1936 darüber verhandelte, ob die Stadt der bedürftigen Witwe eine Unterstützung gewähren sollte, sprachen sich zwei Ratsherren wegen Lerschs „gegnerischen Einstellung zum Nationalsozialismus in der der Kampfzeit“ massiv dagegen aus. Nur die Furcht, die Nachwelt könne sie für „kleine Geister“ halten, hielt sie davon ab, die Zuwendung zu verweigern.
Und bei einem Besuch an der Ahr im Jahre 1935 hatte Lersch den Bibliothekar Fritz Hüser, der schon in den 20er Jahren mit dem Aufbau eines Archivs für Arbeiterliteratur begonnen hatte, vor allzu heftiger Kritik an den politischen Verhältnissen gewarnt, da er anderenfalls ins KZ käme. Der 43-jährige Czapla, der an der Universität Heidelberg lehrt, will seine Forschungen zu Heinrich Lersch in den kommenden Jahren noch intensivieren: Geplant sind unter anderem eine Monographie zur Lersch-Verehrung im Dritten Reich sowie eine Ausgabe sämtlicher Werke.
Text: N.N.
Quelle: Blick aktuell Sinzig 17/2007
Heinrich Lersch im Flammrohrkessel, daneben der Dichter Gottfried Kapp
Foto: Privatbesitz Edgar Lersch